Eine Person füllt Klebezettel auf einem Whiteboard aus

Rückblick: 6. Fachtag und Netzwerktreffen

Am 5. Oktober 2022 richtete das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend den 6. Fachtag und das Netzwerktreffen im Rahmen des Projekts Pausentaste aus. Pandemiebedingt fand die Veranstaltung digital statt, die per Live-Stream aus dem Berliner Hauptsitz des Bundesfamilienministeriums für die Teilnehmenden übertragen wurde. 

Der Titel des diesjährigen Fachtages und Netzwerktreffens lautete „Psychische Gesundheit von pflegenden Kindern und Jugendlichen – Befunde, Herausforderungen und Bewältigungsstrategien“. Ausschlaggebend für die Wahl des Oberthemas war die Tatsache, dass die negativen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie pflegende Kinder und Jugendliche besonders hart getroffen haben. Vielen jungen Pflegenden fehlten oft Zufluchtsorte und Auszeiten, um selbst zur Ruhe und zu Kräften zu kommen. Ängste über den Gesundheitszustand der zu pflegenden Angehörigen nahmen ebenfalls zu, während Entlastungsangebote wegbrachen. Die Moderation der Veranstaltung übernahm auch in diesem Jahr die Fernsehjournalistin und Autorin Susanne Wieseler. 

Eingeleitet wurde der Fachtag mit einem wissenschaftlichen Vortrag von Herrn Prof. Dr. Georg Romer, Klinikdirektor für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Münster, zum Thema „Aufwachsen mit kranken Eltern – Psychische Belastungen und Möglichkeiten der Bewältigung“. Herr Prof. Romer berichtete, dass erst in den vergangenen 20 Jahren begonnen wurde, für Kinder als Angehörige in der Medizin zunehmend Konzepte gezielter familienbasierter Prävention zu entwickeln. Kranke Eltern und ihre Kinder hätten bei der Bewältigung ihrer Entwicklungsaufgaben wiederkehrend spezifische Anpassungsleistungen zu vollbringen. Diese veränderten Anforderungen könnten sich auf die Eltern-Kind-Beziehung und die Bindungsqualität auswirken und beispielsweise eine Parentifizierung bedingen, so Prof. Romer. Da die Krankheit eines Elternteils somit immer auch das ganze Familiensystem betreffe, sei es wichtig, erwachsene Patienten und Patientinnen in ihrer Rolle als Eltern gezielt anzusprechen. Auf der anderen Seite sollten nach Prof. Romer die Kinder in der medizinischen oder psychiatrischen Behandlung altersangemessen einbezogen werden. Herr Prof. Romer bezeichnete in der abschließenden Fragerunde seines Vortrages pflegende Kinder und Jugendliche während der Hochphase der Corona-Pandemie als eine der „vulnerabelsten Gruppen“.

Der zweite, stärker praxisorientierte Vortrag baute auf dem von Herrn Prof. Romer entwickelten COSIP-Beratungskonzept (Children of somatically ill parents) auf. Frau Dr. Laura Inhestern sowie Wiebke Geertz, beide wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Institut und der Poliklinik für Medizinische Psychologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, gaben den Teilnehmenden des Fachtags in ihrem Vortrag Einblicke in die alltägliche Arbeit der „Beratungsstelle Kinder krebskranker Eltern“. Das Hauptziel der Beratung bestehe laut den Referentinnen darin, Familien dabei zu unterstützen „miteinander ins Gespräch zu kommen über die Krankheit, über Ihre Wünsche, Ängste und Fragen, über das, was sich schwer sagen lässt“. Dabei sei es von grundlegender Bedeutung, dass krebskranke Eltern im Umgang mit ihren Kindern Sicherheit erlangten und zugleich die Kinder Bewältigungsstrategien im Umgang mit der Erkrankung der Eltern entwickeln könnten. Die Referentinnen führten aus, dass in den letzten Jahren im Rahmen einer Pilot-Studie die KOMKEK-Fortbildung zum Thema „Krebserkrankung und Elternschaft“ entwickelt und evaluiert worden sei. Diese helfe, medizinisches Personal beim Kontakt mit den erkrankten Eltern zu schulen und für die Bedürfnisse betroffener Kinder zu sensibilisieren.

In den anschließenden interaktiven Arbeitsgruppen beim nachmittäglichen Netzwerktreffen hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, in drei Arbeitsgruppen zu inhaltlichen, kommunikationspolitischen und organisatorischen Schwerpunkten zu diskutieren.  

In Arbeitsgruppe 1 kamen die Teilnehmenden darüber in den Austausch, welche Bewältigungsstrategien und Entlastungskonzepte für pflegende Kinder und Jugendliche sinnvoll seien, um deren psychische Gesundheit zu fördern.   

Viele Teilnehmende der AG meldeten zurück, dass es von Betroffenen als entlastend erlebt werde, andere Personen kennen zu lernen, die ähnliche Erfahrungen gemacht hätten. Aus diesem Grund sei es wichtig, die bereits etablierten Angebote weiter aufrecht zu erhalten (z.B. Freizeitaktivitäten, familienbegleitende Dienste, Patenschaftsprojekte, Mentorenprogramme für Kinder).

Darüber hinaus wurde von Teilnehmenden der AG der Wunsch nach verlässlichen, stabilen und unbürokratischen Unterstützungsmöglichkeiten geäußert, die flexibel genutzt werden sollten, um Betroffenen – auch ohne diagnostisch relevante Auffälligkeiten – im Alltag Entlastung zu bieten. Landesfachstellen könnten nach Ausführungen der AG-Teilnehmenden eine Struktur darstellen, die selbst Beratung anbieten und/ oder an passgenaue Hilfsangebote weiterverweisen.

Die Arbeitsgruppe 2 widmete sich der Frage, wie die Öffentlichkeitsarbeit verbessert und neue Zielgruppen erschlossen werden können. Hierbei wurde vorgeschlagen, bereits bestehende Tage für pflegende Angehörige oder andere Anlässe zu nutzen, um auch auf pflegende Kinder und Jugendliche hinzuweisen. Familien, die an die Öffentlichkeit gehen, sollten hierbei wertgeschätzt werden und auch einen besonderen Schutzraum erfahren. Darüber hinaus wurde eine zentrale Stelle mit einem familienorientierten Blick diskutiert, bei der Inhalte gut und praxisnah vermittelt werden sollten. Als weitere speziell zu adressierende Berufsgruppen wurde das Fachpersonal an Schulen genannt, die Ärztinnen und Ärzte, ambulante Pflegedienste, Therapeutinnen und Therapeuten, Vereine, Vereinshäuser, Gesundheitszentren, Pflegekassen sowie der Medizinische Dienst.

In Arbeitsgruppe 3 wurde die Frage diskutiert, ob und wie eine bundesweite Interessenvertretung für pflegende Kinder und Jugendliche inhaltlich und organisatorisch ausgestaltet werden könnte. Zudem tauschten sich die Teilnehmenden darüber aus, welche Vor- und Nachteile aus einer möglichen bundesweiten Interessenvertretung resultierten.

Vorteile einer solchen organisatorischen Struktur erkannten die Teilnehmenden insbesondere in der besseren medialen Sichtbarkeit, der Bündelung von Fachkompetenz und einer unabhängigen politischen Lobbyarbeit für die Belange pflegender Kinder und Jugendlicher. Mögliche Nachteile sahen einige Teilnehmende in der Schaffung von organisatorischen Parallelstrukturen zu bereits bestehenden Netzwerken. Eine bundesweite Interessenvertretung, so der Tenor aus der AG, müsse zuerst konkrete Zielsetzungen definieren und immer auch die Betroffenenperspektive und das gesamte familiäre System der pflegenden Kinder und Jugendlichen berücksichtigen. Ferner wurde ebenfalls in Beiträgen unterstrichen, dass eine bundesweite Vertretung personelle und finanzielle Ressourcen benötige, da rein ehrenamtliches Engagement diese kontinuierliche Arbeit nicht erbringen könne.  

Die Vorträge sowie der konstruktive Austausch in den drei Arbeitsgruppen haben dazu beigetragen, dass es ein informationsreicher und spannender Tag wurde. Es sind dabei zahlreiche Impulse, Anregungen und Argumente gesammelt worden, die für die zukünftige Arbeit im Netzwerk und im Projekt Pausentaste geprüft werden.

Alle Rückblicke und vergangene Veranstaltungen finden Sie hier.