Pausentaste Close Up – Sabrina von den Pink Kids

In der neuen Reihe "Close Up" sprechen wir mit ehemaligen Young Carers über ihre Erfahrungen und Eindrücke.

Möchtest Du Dich kurz vorstellen?

Hallo ich bin Sabrina, 27 Jahre alt und wohne derzeit in Mannheim. Anfang dieses Jahres habe ich mein Masterstudium der Sozialen Arbeit abgeschlossen und arbeite seither im Pflegekinderdienst des Jugendamts Mannheim. Daneben bin ich analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in Ausbildung. Ehrenamtlich engagiere ich mich seit 2018 als Botschafterin der Pink Kids, einer Gruppe junger Erwachsener Frauen, deren Mütter an Brustkrebs erkrankt sind oder waren. Wir Pink Kids bieten betroffenen Jugendlichen Hilfestellung und Mut im Umgang mit der Brustkrebserkrankung ihrer Mütter an und kooperieren dabei mit vielfältigen Anlaufstellen für Betroffene. So haben wir inzwischen unter anderem einen eigenen Podcast, den Pinkcast und seit kurzem auch unser Pink Kids Camp ins Leben gerufen.

 

Welches Familienmitglied hast Du gepflegt? Und welche Aufgaben hast Du übernommen?

Im Alter von 16 Jahren habe ich meine damals 42 jährige Mama gepflegt. Sie erkrankte bereits im Jahr 2005 an Brustkrebs, da war ich gerade einmal acht Jahre alt. Leider kehrte 2013 der Brustkrebs in Form eines Rezidivs zurück und mit ihm einige Metastasen in Lunge und Knochen, wodurch meine Mama nur noch palliativ medizinisch behandelt werden konnte. Da meine jüngere Schwester damals noch zu klein und mein Papa durch seine Berufstätigkeit viel beschäftigt war, wurde ich zur Hauptbezugsperson meiner Mama. Hierbei habe ich weniger die typischen Pflegeaufgaben wahrgenommen, sondern war vielmehr die emotionale Stütze für meine Mama, habe die anfallenden Aufgaben im Haushalt erledigt, oder mich um meine jüngere Schwester gekümmert. Zu dieser Zeit war mir meine Rolle als junge Pflegende nicht bewusst – im Gegenteil, ich habe mich ständig mit Gleichaltrigen verglichen, deren Eltern gesund waren. Erst als ich mich in meiner Masterarbeit mit der Gruppe der Young Carers beschäftigte, wurde mir klar, dass ich auch ein Young Carer war.

 

Was waren die größten Herausforderungen in der Zeit, in der Du die Pflegeverantwortung übernommen hattest?

Eine der größten Herausforderungen in dieser Zeit war es, meine Mama leiden zu sehen und ihr nicht helfen zu können. Häufig hatte sie sehr starke Schmerzen, konnte nur wenig essen und war psychisch sehr belastet von der für sie ausweglosen Situation. Ich unterstützte sie so gut es ging, doch irgendwann reichte meine Unterstützung nicht mehr aus und sie musste in einem Palliativkrankenhaus versorgt werden, wo sie nach nur wenigen Tagen verstarb. Neben meiner Hilflosigkeit waren auch die Abiturvorbereitungen eine große Herausforderung für mich. Ich hatte mit starken Konzentrationsschwierigkeiten zu kämpfen, weil ich während des Lernens immer ein schlechtes Gewissen hatte, da ich nicht für meinen Mama da sein konnte. Häufig schlief ich auch während des Lernens vor Erschöpfung ein. Meine Noten verschlechterten sich und ich hatte große Sorge das Abitur zu bestehen. Auch die plötzliche Übernahme von Haushaltstätigkeiten wie Wäsche waschen, einkaufen oder kochen, habe ich als große Herausforderung in dieser Zeit erlebt. Ich erinnere mich noch gut an eine Situation im Supermarkt, in der ich mich weinend zwischen den Regalen vorfand, weil ich schlichtweg überfordert war. Für meine Mama war es das schlimmste, mich als ihre Tochter mit all dem alleine zu lassen, aber ihre Erkrankung ließ ihr keine Wahl.

 

Wie hast Du das alles geschafft?  

Ehrlich gesagt frage ich mich heute, nach ziemlich genau zehn Jahren häufig, wie ich das damals alles geschafft habe. Rückblickend würde ich sagen, ich habe einfach nur funktioniert und versucht für meine Mama und meine jüngere Schwester stark zu sein. Ich wusste, wenn ich es nicht tue, dann tut es keiner. Geholfen hat mir, dass meine Mama häufig den Satz  „Ich bin so froh, dass ich dich habe, ich wüsste nicht, was ich ohne dich tun würde!“ zu mir sagte und mir damit immer ihre Wertschätzung, Liebe und Dankbarkeit entgegen brachte. Glücklicherweise hatte ich auch in meiner Oma eine große Ressource, die immer für mich und meine Familie da war und dies bis heute ist. Daneben war die Musik ein großer Anker für mich. Bis heute ist sie meine große Leidenschaft und ich singe für mein Leben gern. Damals habe ich oft stundenlang Musik gehört. So konnte ich ein Stück weit in meiner eigenen Welt sein und die Sorge um meine Mama ausblenden.

 

Hattest Du manchmal noch Zeit für Freundinnen und Freunde und für Dich selbst?

Zeit für meine Freundinnen hatte ich definitiv weniger als Gleichaltrige. Wenn ich mich mit ihnen verabredete, hatte ich meist ein schlechtes Gewissen, da ich in dieser Zeit meine Mama alleine lassen musste. Auch meine jüngere Schwester verstand oft nicht, dass sie nicht mit dabei sein konnte und fühlte sich daher ausgeschlossen, was mir zusätzlich ein ungutes Gefühl gab. Bei den Verabredungen war ich mit meinen Gedanken dann meist zuhause und konnte die Unternehmungen eigentlich nie unbeschwert genießen. Zeit für mich alleine hatte ich im Grunde nie. Wenn ich in meinem Zimmer war, musste ich immer mit einem Ohr bei Mama sein, falls sie meine Hilfe brauchte oder es ihr schlechter ging.

 

Wie und wo hast Du Dir Hilfe gesucht? Und welche Erfahrungen hast Du damit gemacht?

Ich habe mir an vielen Stellen Hilfe gesucht und damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Bis heute gehe ich sehr offen mit meiner Situation um. Zum einen habe ich mich damals in der Schule an meine Vertrauenslehrerin gewandt. Bei ihr habe ich einige Gespräche wahrgenommen und sie half mir dabei, meine vollgepackte Woche zu strukturieren und meine Situation gegenüber den Lehrerinnen und Lehrern gut zu kommunizieren. Außerdem bot mir meine Mathelehrerin Nachhilfestunden an, die mir halfen, meine Noten zu halten. Zum anderen war ich bei der Psychoonkologin meiner Mama angebunden und durfte mit ihr in regelmäßigen Abständen Gespräche führen. Sie war vermutlich die größte Hilfe und Stütze in dieser Zeit. Bei ihr konnte ich über all das sprechen, was mich zuhause belastete. Sie gab mir Übungen an die Hand, welche mir in Situationen der Anspannung halfen, ermutigte mich Zeit mit meinen Freundinnen zu verbringen, erklärte mir die Nebenwirkungen der Chemotherapie und half mir so, die Schuld von mir zu weisen, und vermittelte mich an eine Trauergruppe für junge Erwachsene sowie an die Pink Kids. Entlastung habe ich überdies durch unsere Haushaltshilfe erfahren, welche mehrmals wöchentlich mich und meinen Papa bei den anfallenden Aufgaben unterstützte.

 

Welche Tipps würdest Du jungen Pflegenden mit auf den Weg geben?

Zuallererst solltest du als junge Pflegende bzw. junger Pflegender wissen, dass du mit deiner Situation nicht alleine bist, auch wenn sich das für dich vielleicht gerade so anfühlen mag. Mein erster Tipp ist daher das darüber reden. Als ich als Botschafterin zu den Pink Kids kam und dort auf Gleichgesinnte traf, durfte ich zum ersten Mal das Gefühl des Verstanden Werdens in meiner Situation als junge Pflegende verspüren. Endlich brauchte ich mich nicht mehr zu erklären, sondern durfte einfach nur reden und hatte ein Gegenüber, das ganz genau verstand, wie ich mich fühlte. Das war eine ganz wunderbare, heilsame Erfahrung für mich. Ein weiterer Tipp, den ich an junge Pflegende geben möchte, ist das Hilfe suchen. Pflegeverantwortung zu tragen ist eine unfassbar große Last, die besonders kleine Schultern kaum auszuhalten vermögen. Inzwischen gibt es vielfältige Hilfsangebote für junge Pflegende wie das Onlineangebot der Pausentaste oder wohnortnahe Gruppenangebote, die eine große Entlastung in einer so schweren Zeit sein können. Auch die Möglichkeit der Unterstützung durch eine Haushaltshilfe habe ich in meiner damaligen Situation als sehr gewinnbringend empfunden. Schlussendlich möchte ich Betroffenen mit auf den Weg geben, sich regelmäßige Auszeiten von ihrer Pflegeverantwortung zu nehmen, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Denn wir können nur Verantwortung tragen, wenn wir immer wieder Verantwortung für uns und unsere Gesundheit übernehmen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schwer das sein kann, aber sich darin zu üben, macht auf lange Sicht einen spürbaren Unterschied.

 

© Bild: Ingo Peters